| In keinem anderen Land wurde Britney so zerissem wie hier in Deutschland. Sei es durch Taff oder der Bild. Doch mittlerweile hat wohl auch Deutschland eingesehen, dass es so nicht weitergehen kann. In einem Artikel der "FAZ" betrachtet man ihre Situation erstmals sachlich.
Keine Gnade für Britney Spears
Von Tobias Rüther
Der ehemalige Kanzleramtschef Horst Ehmke hat einmal erzählt, wie ein Sozialdemokrat vor Jahren seinen Kollegen zum Parteibeitritt mit den Worten überreden wollte: „Zahlste zwei Mark und darfst Carlo Schmid duzen!“ So billig kam man früher nur selten davon, wenn man als kleiner Mensch einen großen duzen wollte. Inzwischen ist es spottbillig geworden, öffentliche Figuren zu duzen - ganz egal, wie unerreichbar sie sind, ob das herausragende Politiker sind wie es Carlo Schmid einer war, Profifußballer oder Superstars.
Mit Britney Spears zum Beispiel sind alle auf first name basis. Und das suggeriert eine Vertrautheit, mit der zugleich jeder Respekt verloren geht. „Britney“, schreiben sie in Zeitungen und Magazinen, im Internet und in Blogs, „Britney“, sagen sie im Fernsehen, „Britney“, die „Skandalnudel“, die Drogensüchtige, die Glatzenträgerin (siehe auch: Britney Spears: Vom Sexsymbol zum Wrack) und desorientierte Mutter, die um das Sorgerecht für ihre zwei kleinen Kinder kämpft - diese fünfundzwanzigjährige Britney Spears darf jeder duzen.
Eine öffentliche Frau
Und nicht nur duzen, auch öffentlich auf die Couch legen: Beides hat kürzlich der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer getan, er hat „Britney“, wie er sie nennt, in einem Magazinbeitrag als Narzisstin pathologisiert und über ihren Drogenkonsums spekuliert - als wäre so eine Therapiesitzung nicht das Intimste, was einem Menschen passieren könnte. Als müsste man einen Menschen nicht erstmal von Angesicht sprechen, bevor man eine Diagnose stellt.
Aber Britney Spears ist nicht mehr nur einfach ein Mensch, sondern vor allem „eine öffentliche Frau“, eine Prominente, die ihre Krankenakte vor aller Augen angelegt hat: Das ist dann das Zwei-Mark-Argument, mit der Klatschjournalisten rechtfertigen, warum sie der Sängerin auf Schritt und Tritt folgen und jede ihrer bei Rot überfahrenen Ampel zählen - und warum sie verbreiten, wie wenig Geld Britney Spears gemessen an ihren Ausgaben für Kleider im Monat für wohltätige Zwecke spendet.
Oft trifft es junge Frauen
So etwas steht inzwischen nicht mehr nur in bunten, sondern auch in seriösen deutschen Blättern. Komisch, dass es so oft junge Frauen trifft, Paris Hilton oder der jungen amerikanischen Schauspielerin Lindsay Lohan ergeht es nämlich genauso. Pete Doherty dagegen ist eher die Ausnahme von der Regel, außerdem ist das Image des suchtkranken englischen Sängers eher das des letzten ungezähmten Rockrebellen. Bei Britney Spears aber war der Weg vom Kinder- zum Superstar genauso rasant wie der in den Abgrund. Ihre Karriere schien in einem Alter beendet, wo andere Menschen ihre erst beginnen, und so schlägt der Neid von eben um in triumphierende Schadenfreude. Und ist sie auch noch so angeschlagen, und versucht sie noch so verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen: Ihre Kritiker lassen das nicht zu.
Diesen erbarmungslosen Zynismus spürt man auch jetzt wieder, da „Blackout“ erscheint, ihr Comeback-Album. Im Grunde begann es schon im September, als Britney Spears bei den MTV Music Awards zum ersten Mal seit langem wieder eine Bühne betrat und ihre neue Single sang, die „Gimme more“ heißt, was allgemein als Desaster betrachtet wurde: Diese Speckrollen! Dieses Herumgestöckel! Dieser Stöhngesang! Menschen, die Britney Spears noch nie getroffen haben, sagten Dinge über sie, die sie ihr bestimmt nicht ins Gesicht sagen würden - detailliert und voller Häme
Passabler Produzentenpop
Dabei ist „Gimme more“ wie die ganze neue Platte sehr passabler amerikanischer Produzentenpop geworden. Zwölf Lieder, die von Britney Spears' kieksig-metallischer Stimme leben, vom schweren Bass und Soundeffekten. Es biepst hier, pluckert da und dengelt dort: Musik zum Herumfahren, Tanzmusik. Zwar ist kein Lied von jenem Kaliber dabei, den das überbordende „Toxic“ von 2004 hatte - aber „Gimme More“ ist ein Anfang, um wieder dorthin zu gelangen, wo Britney Spears einmal stand: ganz oben, zu Zeiten von „Toxic“, als Madonna sie küsste und ein T-Shirt trug, auf der ihr Name glitzerte. „Britney Spears“ stand dort übrigens. Nicht „Britney“.
Kaum ein Ferndiagnostiker käme aber darauf, Britney Spears für ihren Versuch, sich wieder aufzurappeln, den gleichen Respekt zu zollen wie Madonna, die genauso anstrengend sein kann, wenn sie sich mal wieder „neu erfindet“. Im Gegenteil: Britney Spears wird selbst ihr privates Unglück als Kalkül ausgelegt. „Wer in den vergangenen Monaten Subversion witterte und glaubte, die Künstlerin würde dem Markt durch Selbstzerstörung eine wichtige Ressource entziehen“, behauptete der Kritiker von „Spiegel Online“ in seiner Besprechung von „Blackout“, „kann jetzt bestaunen, wie sich Selbsterniedrigung in Profit ummünzen lässt.“
Die nächste Hinrichtung
Das heißt also, Britney Spears kämpft um das Sorgerecht ihrer Kinder, um mehr Platten zu verkaufen? So eine unfaire Zuspitzung würde sich der Kritiker natürlich verbitten. Es steht aber doch da: „Keine Demütigung, die sich nicht ins kommerzielle Kalkül einpassen ließe.“ Dann wird noch der Titel einer ihrer größten Hits - „Oops I did it again!“ - zum Karrieremotto umgedeutet: „Ich kann nicht aufhören: Das sagt der Neurotiker, der Süchtige, der Unternehmer.“ Und fertig ist die nächste Hinrichtung, die sich in Mitgefühl tarnt, hinter der aber nur blasierte Verachtung steckt.
Im Grunde lässt sich überhaupt nichts mehr zu Britney Spears sagen. Selbst die positiven Rezensionen zu „Blackout“ sprechen eigentlich nur zu sich selbst. Zu sagen, dass es mutig von Britney Spears ist, sich als „Executive Producer“ auf die Hülle von „Blackout“ zu schreiben, wenn alle über sie lachen; darum zu bitten, doch endlich von der Musik zu reden, von einem schönen Lied wie „Perfect Lover“ und nicht von Drogen, Prozessen oder den Unterhaltszahlungen - alles steht sofort unter Verdacht, nur wohlgemeint zu sein.
Es ist fast unmöglich geworden, unbefangen über die amerikanische Sängerin zu schreiben, weil einfach zu viel Ressentiment im Raum steht, das erst mal weggeräumt werden muss. Britney Spears ist zum Politikum geworden, wer sich zu ihr äußert, bezieht Partei - weil es auch eine Frage der Politik ist, einer jungen Mutter das gleiche Recht auf Eskapaden zu gestatten wie zum Beispiel einem Robbie Williams. Und da gibt es eben eine Partei, die duzt.
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