| Im deutschsprachigen Raum gab es bis jetzt noch keine wirklichen positiven Kritiken zu "Blackout". Das Album sei durchwegs ein reines Gestöhne und Gejaule, so eine Meinung. Das es auch anders geht, zeigt nun die "Welt". In einem Beitrag vom Freitag wird das Album sehr gelobt:
So eine Überraschung: Das neue Album von Britney Spears ist wirklich gelungen. Auf "Blackout" stört ihr dünner Gesang wenig, der katastrophale Lebenswandel kommt der Platte zu Gute. Pop braucht die permanente Krise - und die 25-Jährige hat da einiges zu bieten.
Britney Spears' Jahresbilanz liest sich in jeder Hinsicht beeindruckend. Unermüdlich arbeitete die 25-jährige Alleinunterhalterin und zweifache Mutter an ihrem Image und war beinahe jeden Tag mit einer neuen verrückten Meldung in den Medien. Unter anderem machte sie innerhalb von fünf Wochen dreimal eine Entziehungskur, wurde wegen Fahrerflucht angeklagt, rasierte sich öffentlichkeitswirksam den Schädel, schmierte sich in Edelrestaurants die Speisen ins Gesicht und ließ bei jeder sich bietenden Gelegenheit ohne Unterwäsche fotografieren.
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Höhepunkt der vermeintlichen Skandale und Peinlichkeiten war allerdings ihr atemberaubend desolater Auftritt bei den MTV Awards Ende September in Las Vegas. Vollständig desorientiert stakste sie in denkbar unvorteilhafter Wäsche über die Bühne, vergaß dabei den überschaubaren Text ihrer neuen Single „Gimme More“ und machte alles in allem einen herausragend jämmerlichen Eindruck.
Das Album „Blackout“ ist ein Triumph
Spears bot ein derart authentisches Bild sittlich-moralischer Verwahrlosung dar, dass die sensationslüsternen Massen sich den Mitschnitt im Internet derart oft anschauten und sich der Song wie von selbst zum Hit entwickelte. Schadenfreude und Kunstgenuss müssen schließlich kein Widerspruch sein.
Obwohl die Fachpresse das Ende ihrer Karriere und TV-Psychologen gar einen Suizid prophezeiten, bereitete Britneys Kette von Fehlleistungen nur die Voraussetzung für eines der schönsten Comebacks der jüngeren Vergangenheit. „Gimme More“ ist in den USA mittlerweile Britneys größter Erfolg seit ihrer Debütsingle „Baby, One More Time“, das neue Album „Blackout“ ist nichts weniger als ein Triumph. Man darf zwar nicht annehmen, dass sie daran einen nennenswerten Anteil hatte, aber immerhin war sie so umsichtig, mit Nate Hills, Bloodshy & Avant, den Neptunes und The Clutch eine Riege von vertrauenswürdigen Produzenten anzuheuern, die sie dann in Ruhe schalten und walten ließ.
Elf der zwölf Songs mit trockenen Beats
Da Britneys Stimme für ihre Musik nie besonders wichtig war, trafen die Produzenten die einzig richtige Endscheidung und verfremdeten ihren Gesang nach Gutdünken. Sie zerstückelten, beschleunigten und dehnten ihn, mischten ihn in den Hintergrund, legten Verzerrer drüber und nutzten überhaupt alle Möglichkeiten, die die moderne Studiotechnik bietet.
Im Ergebnis ist „Blackout“ so stimmig und in sich geschlossen wie keines der vier Britney-Alben davor. Bei elf der insgesamt zwölf Titel handelt es sich um Tanzmusik mit staubtrockenen Beats, schrillen Videospielgeräuschen und windschiefen Melodien, so rücksichtslos und konsequent produziert, wie es sich sonst kein anderer derzeit Mainstream-Star wagen würde.
Früher musste Britney als idealtypisches American Girl es so unterschiedlichen Zielgruppen wie Müttern, Vätern, Töchtern und Söhnen gleichermaßen Recht macht. Also lächelte sie nett lächeln, tanzte sportlich, zeigte ihren Bauchnabel her, ließ sich die Brüste vergrößern, sang ein Loblied auf die Keuschheit und beteuerte, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen.
Immer eine Projektionsfläche
Musikalisch schlug sich das in einem unausgegorenem Sammelsurium von Liedern nieder, in dem man bis auf ein, zwei gelungener Singles vergeblich nach etwas Hörbarem suchte. Und selbst die lebten eher durch die dazugeörigen Videos. Mit Britney in der Schulmädchen-Uniform hat „Hit Me, Baby, One More Time“ Popgeschichte geschrieben, der Song allein hätte es nicht. Britney Spears war von Beginn ihrer Gesangskarriere eine perfekt konstruierte Projektionsfläche für unterschiedlichste und sich konsequent widersprechender Wünsche und Bedürfnisse, doch als der Teeniestar allmählich erwachsen wurde, ließ sich das Konstrukt nicht mehr aufrecht erhalten.
Bereits auf den Vorgängeralben „Britney“ (2001) und „In The Zone“ (2003) unternahm sie zaghafte Versuche, sich von ihrem alten Image zu befreien, allerdings mit recht beklagenswerten Ergebnissen. Dieses Mal hat sie zumindest im außermusikalischen Bereich ganze Arbeit geleistet.
Spätestens seit der Ehe mit ihrem ehemaligen Bühnentänzer Kevin Federline, hat sie sich als vollgültiges White-Trash-Luder neuerfunden. Das Paar zeigte sich gern in völlig derangiertem Zustand, setzte in Windeseile zwei Kinder in die Welt und legte seinen Schwerpunkt auf das Feiern von Partys.
Nur die permanente Krise rettet die Karriere
Doch erst nach der Trennung von Federline im Winter letzte Jahres gab Britney richtig Gas. Wie ihre Kolleginnen Paris Hilton, Nicole Richie und Lindsay Lohan amüsierte sie sich entschlossen an den Rand des Abgrunds und fand so ihren Platz im Unterhaltungsgeschäft, der ihr seither die ständige Präsenz in der Boulevardpresse sicherte. Britney hat sozusagen messerscharf erkannt, dass nur der Zustand der permanenten Krise ihre Karriere retten kann und ihr die offensichtlich dringend benötigte Aufmerksamkeit beschert.
Seit Model Kate Moss beim Koksen erwischt wurde, Babyshambles-Sänger Pete Doherty einen Rückfall nach dem anderen hat, man sich ernsthafte Sorgen um vielfach drogenabhängige Sängerin Amy Winehouse machen muss, die klapperdürre Nicole Richie der Magersucht zum Opfer zu fallen droht, Lindsay Lohan ständig betrunken Auto fährt und Paris Hilton einen viel beachteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, ist offenkundig, dass die derzeit größten internationalen Stars allesamt hoffnungslose Problemfälle sind, die – zumindest in den überwiegenden Fällen – erst durch ihre Probleme zu ihrem erheblichem Ruhm kamen.
Mit „Blackout“ hat Britney das bestmögliche Album aufgenommen, um die Krise zu befeuern. Statt auf sie einzugehen, wird sie passend zum Titel einfach ausgeblendet. Konsequent hedonistisch singt sie stattdessen davon, dass sie unbedingt mehr feiern und noch rasch mit diesen und jenen Leuten Sex haben muss.
Nur in „Pieces Of Me“ beschwert sie sich über ihr Bild in der Öffentlichkeit und vermutet dahinter eine Verschwörung gegen berufstätige Mütter – allerdings war sie weder an der Entstehung der Musik noch am Text ansatzweise beteiligt.
Vor wenigen Wochen hätte man Britney noch den vernünftigen Rat geben wollen, dass sie ihre Millionen nimmt und sich auf einer einsamen Insel mit ihren Kindern zur Ruhe setzt. Schön, dass sie das nicht getan hat.
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